Heute sind wir Freunde

heute-sind-wir-freundeRoman von Patrycja Spychalski

320 Seiten
erschienen März 2016
Preis: 14,99 €
Verlag: cbt
ISBN: 978-3-570-16410-5

 

 

Rezension von Olga K

An einem Freitagnachmittag treffen sich sechs Schüler, um eine verpasste Klassenarbeit nachzuschreiben, als der Jahrhundertstorm einen Tag früher die Stadt erreicht und sie in der Schule eingesperrt bleiben müssen. „Klasse!“, denkt sich Kunstnerd Chris, der seit einer Ewigkeit auf die schüchternen Nell steht. Aber Nell hat nur Augen für Schulschwarm Leo und sieht das Ganze als eine Gelegenheit, sich ihm langsam zu nähern. Leo und sein Kumpel Marc sind viel zu cool für diese Welt, finden Nachschreiben generell öde und würden lieber ein paar älteren Mädels aus der Oberstufe aufreißen, als in der Schule eingesperrt zu bleiben. „Oder sich die Zeit mit der Schulschönheit Valeska vertreiben“, denkt sich Leo.

Die kühle Valeska ist jedoch so unnahbar wie die Spitze eines Berges. Der einzige Mensch, dem sie ihr Herz öffnen würde, ist Florian Radtke, der junge Aufsichtslehrer, den sie heimlich anhimmelt. „Eine ganze Reihe Fehlentscheidungen wurde hier getroffen“, denkt sich Streber Anton, der Wichtigeres zu tun hat, als einen Nachmittag mit fremden Menschen verbringen zu müssen. Menschen, die er jedoch heimlich auf Facebook als „Ginger Cat“ folgt. Kurzerhand beschließen Marc und Leo, sich gegen die Befehle des Aufsichtslehrers zu wehren und verlassen die Schule. Dabei wird Marc verletzt und muss von Herrn Radtke selbst ins Krankenhaus gebracht werden. Und dann waren es nur noch fünf…

Nell, Anton, Valeska, Chris und Leo. Fünf Jugendlichen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten. Unter normalen Umständen wechseln sie kein Wort, hängen schon gar nicht zusammen ab, obwohl sie auf Schulfluren, im Klassenzimmer oder auf Partys aneinander vorbeilaufen. Jetzt sind sie bis auf Weiteres ohne Aufsicht in der Schule eingesperrt und müssen sich einerseits dieser Herausforderung stellen, anderseits auch miteinander klarkommen. Schließlich sind sie fünf Fremde. Anfangs verhalten sie sich ein bisschen verklemmt, es wird jedoch allen schnell klar, dass sie aufeinander angewiesen sind. Draußen weht der Sturm alles durcheinander und innen genauso. Langsam nähern sie sich alle an, unternehmen verschieden Aktionen, die den Leser oft zum Schmunzeln und zum Nachdenken bringen, und toben sich durch Klassenräume und Lehrerzimmer aus. (Erste) Hilfe wird geleistet. Erste Küsse werden ausgetauscht. Erste Liebe und wahre Freundschaften entstehen. Gestern waren sie fünf Fremde. Heute sind sie Freunde. Morgen…

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht jedes Charakters in einzelnen Kapiteln erzählt, die sich chronologisch aneinanderreihen. Es gibt keinen Protagonisten; jeder hat eine gleichwertig wichtige Rolle und kommt zu Wort. Durch diese fünf unterschiedlichen Erzählperspektiven kann der Leser in jede Person und deren besonderen Gedankenwelt eintauchen. Die Einblicke ins Innere der Charaktere sind so tief, dass man sich mit der einen oder anderen Figur identifiziert, indem man einen Spiegel vorgehalten bekommt.

Das Buch erinnert einen an den 80er-Jahre-Kultfilm „The Breakfast Club“. Es ist jedoch kein Remake, vielmehr eine äußerst gelungene Hommage. Die Zeiten haben sich seit 1985 ein bisschen geändert: The Cure sind nicht mehr angesagt und keiner weiß, wer Kate Bush ist. Amy Whinehouse und Mando Diao sind gerade aktuell-die Geschichte spielt ungefähr in 2010. Die Verpackung hat sich durch die Jahre verändert, der Inhalt ist jedoch gleichgeblieben: Die Jugend von heute hat genau dieselben Ängste und Probleme, wie die vor dreißig Jahren. Sie versteht sich selten mit ihrer Familie und wird von ihren Lehrern häufig nicht ernst- und wahrgenommen. Sie läuft unsicher durch das Leben, mit genauso vielen Masken und Schleiern. Sie denkt weiterhin in Klischees, tanzt und spielt aber gekonnt mit diesen und durchbricht sie. Die Jugendlichen von heute sind keineswegs „enfants terribles“; sie denken und handeln genauso reif und sensibel wie vor dreißig Jahren. Sie wollen irgendwo dazu gehören, sind auf der Suche nach sich selbst und streben danach, sich neu zu erfinden und ihre Träume zu verwirklichen. Das ist die Moral dieses Buches und wenn einem dies beim Lesen nicht klar wird, dann wenigstens, dass man einen wahren Freund dort findet, wo man gar nicht danach gesucht hat.

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